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Das staatliche Strafen (1) Teil I

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In regelmäßigen Abständen ist hierzulande Kriminalität ein Thema – ebenso regelmäßig wird
darüber diskutiert, wie Kriminalität denn am besten zu verhindern sei. Man ist sich zwar in
Politik und Öffentlichkeit über die konkreten Schritte zur Bekämpfung von Verbrechen selten
einig, aber dass man überhaupt Strafen und staatliche Gewalt braucht, darüber herrscht
Einigkeit von rechts bis links (2). Staatliche Gewalt zur Durchsetzung von gesellschaftlichen
„Regeln“ und zum Schutz wichtiger Rechtsgüter – wie etwa das Recht auf Eigentum oder die
 Freiheit der eigenen Person – , sei unverzichtbar. Ohne Strafen gäbe es keinen ordentlichen Schutz der Bürger und ihrer Rechte. Zwar fällt es einigen Menschen durchaus auf, dass (mehr) Strafen bzw. härtere Strafen Verbrechen nicht verhindern. Und es wird gelegentlich zugestanden, dass der Nutzen von Strafen - etwa für die Opfer von Straftaten - fraglich ist. Schließlich machen Strafen das Geschehene für diese Opfer nicht wieder gut, sondern fügen der Gewalt der Straftat bloß weitere Gewalt hinzu. Trotzdem wird immer wieder auf die Unverzichtbarkeit einer abschreckenden Wirkung von Strafen hingewiesen: Ohne Sanktionen und deren abschreckende Wirkung funktioniere ein soziales Zusammenleben „leider“ nicht. Die durchgesetzte Vorstellung über das Strafrecht, besagt, es diene dazu, ein friedliches Zusammenleben zu ermöglichen. „Das Strafrecht dient [...] dem [...] Rechtsgüterschutz und ist in seiner Existenz demzufolge gerechtfertigt, wenn das friedliche und materiell gesicherte Zusammenleben der Bürger nur durch eine Strafandrohung bewahrt werden kann. “ (Roxin u.a.: „Einführung in das Strafprozessrecht“, 5 Auflage, S. 4). Gegen die Vorstellung, dass Strafrecht sei so eine Art selbstloser Dienstleistung des Staates für seine Bürger in Sachen friedliches Zusammenleben sollen im Folgenden einige Einwände formuliert werden. (3)

1. Zum Unterschied zwischen Rechtsgüterschutz und dem Schutz von materiellen Interessen

Die Existenz oder ein wahrgenommener Anstieg von Kriminalität lösen bei vielen Menschen Ängste aus. Strafen begrenzen Kriminalität. Dies und der Umstand, dass Verbrechen oft Schäden für die Betroffenen beinhalten, legt ein weit verbreitetes Missverständnis nahe: Handlungen seien deshalb unter Strafe gestellt, weil durch sie Menschen in ihrer Gesundheit geschädigt oder der Mittel ihres Unterhalts beraubt würden. Die damit mitunter verbundene Unterstellung, es ginge dem Staat mit seinem Strafrecht entscheidend um die Gesundheit oder die Mittel des Einzelnen zum Leben, ist aber falsch.

  • Klaut jemand ein Auto, dann ist das Diebstahl. Entlässt dagegen ein Unternehmen 2.000 seiner „Beschäftigten“, weil in einem anderen Land billiger und damit rentabler zu produzieren ist, dann ist das rechtens. Unabhängig davon, was das für die entlassenen Menschen bedeutet, ihr Einkommen zu verlieren und damit die Mittel ihres Unterhalts. Das Unternehmen nimmt einfach und brutal sein Recht als Eigentümer wahr, während der Dieb den Willen zur Achtung vor dem Eigentum und damit vor dem Recht vermissen lässt.
  • Das „Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ gilt für alle: Auf den Schutz seiner Person kann ein Arbeitnehmer sich berufen, wenn er von seinem Chef geschlagen wird – aber nicht, wenn er sich kaputt gearbeitet hat. Während „Körperverletzung“ als Delikt mit empfindlichen Strafen geahndet wird, ist die Zerstörung von Körper, Geist und Psyche in kapitalistischen Fabriken im Strafgesetzbuch nicht zu finden. (Wenn sie ein durchschnittliches und als solches sogar erlaubtes Maß übersteigt, hat das Unternehmen allenfalls mit einer Buße zu rechnen.)
  • Es gibt Handlungen, bei denen niemand geschädigt wird und die dennoch bestraft werden, z.B. einvernehmlicher Inzest. (Das dürfte daran liegen, dass dieser der aktuell vorherrschenden Vorstellung von der bevölkerungspolitischen Aufgabe der Familie widerspricht.)

Hieran zeigt sich: Mit dem Strafrecht wird an das Handeln der Privatsubjekte ein Maßstab angelegt, für den es nicht entscheidend ist, dass es durch eine Tat zu einer Schädigung kommt. (Weder kommt es bei jeder „kriminellen“ Tat zu einem Schaden, noch ist jede Schädigung verboten.) Es gibt noch einen gravierenden Unterschied zwischen Rechtsgüterschutz (4) und dem Schutz vor Schädigung: Wenn Verbrechen bestraft werden, reagiert der (Rechts-)Staat als Betroffener. Wo er auf eine Schädigung durch Verbrechen mit seinem Strafrecht reagiert, interessiert diese den Staat von vornherein nur unter einem ganz bestimmten Gesichtspunkt, nämlich als Verletzung von Rechtsgütern. Für den Staat ist mit dem Autodiebstahl nicht die Sache weg, auf die man angewiesen ist, um zur Arbeit zu kommen. Für den Staat ist mit dem Autodiebstahl etwas ganz anderes geschädigt: Das von ihm etablierte Rechtsgut namens Eigentum. Das Eigentum und mein Auto sind verschiedene Sachen. Der Unterschied macht sich für mich als Geschädigten darin bemerkbar, dass die Reaktion auf die Verletzung eines Rechtsgutes mittels des Strafrechts einen anderen Zweck verfolgt als den Schadensausgleich. Dem Zwecke der Strafe bezogen auf die Straftat ist dann genüge getan, wenn der Täter die verdiente Strafe erhalten hat.

2. Warum Rechtsbruch und bürgerliche Ordnung zusammen gehören

Eigentum: Eine wesentliche Grundlage für Massenkriminalität (5)

Auch wenn sie selbst ihren Mangel nicht so sehen mögen: Durch das Privateigentum sind die meisten Menschen von vielen Dingen erst mal ausgeschlossen, die sie für ihre Bedürfnisbefriedigung benötigen würden.
Der Ausschluss der meisten Menschen von vielen Mitteln des Bedarfs durch die Eigentumsgarantie sind immer wieder Anlass dafür, das Recht auf Privateigentum oder andere Rechte zu verletzen, um auf diese Weise die eigenen materiellen Interessen besser durchzusetzen oder überhaupt zu verwirklichen.
Hierbei muss man weder zuerst an spektakuläre Banküberfälle denken, noch an Delikte wie Kohlenklau oder ähnliche Diebstähle in Osteuropa oder Drittweltländern, die dem nackten Überleben dienen. Taten wie beispielhaft die folgenden geschehen auch in erfolgreicheren kapitalistischen Nationen wie der BRD täglich und zwar zum Teil massenhaft:

  • Menschen besorgen sich illegale Kopien von Musik, Spielen und anderen digitalen Gütern, weil das „kostenlos“ ist.
  • Menschen fahren „schwarz“ und wandern dafür in den Knast, weil sie es zum wiederholten mal getan haben und das Bußgeld nicht bezahlen können
  • Menschen betrügen bei der Steuererklärung
  • Menschen „betrügen“ den Staat beim Bezug von Sozialleistungen, indem sie Arbeitseinkommen oder Vermögen verheimlichen

Diese Beispiele für „Kriminalität“ sind u.a. ein Hinweis darauf, dass auch das Leben in kapitalistisch vergleichsweise erfolgreichen Staaten wie der BRD zumindest für die meisten abhängig Beschäftigten kein Leben ist, in dem es wesentlich um ihre Bedürfnisse ginge.

Keine Kriminalität ohne Recht

Anders als unterstellt, reagiert der Staat mit seinem Recht bzw. seinem Strafrecht nicht auf Verletzungen von Interessen, die er in der Gesellschaft vorfindet. Er trägt entscheidend mit dazu bei, dass es diese Interessenverletzungen überhaupt gibt: Die Garantie etwa des Rechts auf Eigentum zwingt nämlich jeden, mit seinem Eigentum sein „Glück“ auf dem Markt bzw. in einer kapitalistischen Ökonomie zu suchen. Die materiellen Ursachen für die massenhafte Verletzung von Eigentum bringt der Staat insofern selbst hervor, als er alle auf die Existenz als Eigentümer und damit als Marktteilnehmer verpflichtet und sie den Marktgesetzen aussetzt. Das bürgerliche Recht unterstellt damit eine Notwendigkeit verschiedener Interessenverletzungen im menschlichen Zusammenleben, die es ohne das bürgerliche Recht selbst nicht geben müsste.

=======

(1)   Es handelt sich bei diesem Text um eine leicht überarbeitete und erheblich gekürzte Version des Textes der unter gleichem Namen unter http://www.junge-linke.org/de/staatliches-strafen zu finden ist.
(2) Auch manche Linksradikale finden Strafen gut, wenn diese Strafen sich gegen die „Richtigen“ wenden, z.B. Nazis oder Steuerhinterzieher.
(3) Im folgenden geht es um das staatliche Strafen in Gesellschaften mit kapitalistischer Wirtschaftsweise und einem demokratischen Rechtsstaat. Es geht in diesem Text also nicht um die Frage, wie man in einer befreiten Gesellschaft mit Menschen umgeht, die anderen Menschen Gewalt antun. Um Missverständnisse zu vermeiden: Wir schließen nicht aus, dass es in einer befreiten Gesellschaft Übergriffe auf Leib und Leben anderer Menschen geben wird. Zum Schutz vor einzelnen mag auch dann hin und wieder  irgendeine Form von Zwang nötig sein – ansonsten wäre man jeglicher Gewalt einfach ausgesetzt. Allerdings sehen wir einen Unterschied zwischen zeitweiligem Zwang oder dauernder Notwendigkeit eines staatlichen Strafwesens.
(4) Rechtsgut zu sein bedeutet, dass etwas eine besondere ideelle Qualität hat, z.B. hat ein Auto außer seinem konkreten Nutzen als Transportmittel noch die Qualität Eigentum zu sein. Die Qualität Rechtsgut zu sein beinhaltet die Selbstverpflichtung des Staates, diese Güter zu schützen.

(5) Wir gehen im Folgenden vor allem auf „Delikte“ ein, in denen es in irgendeiner Weise um die illegale Erlangung materiellen Reichtums geht. Hierzu müssen auch viele „Delikte“ gezählt werden, in denen Gewalt angewandt wird, wie z.B. Erpressung oder Raub, die aber in der Öffentlichkeit nicht als „Eigentumsdelikt“ eingeordnet und besprochen werden. Zwar haben nicht alle Formen von Kriminalität ihren Existenzgrund in der Abhängigkeit von Eigentum und Lohnarbeit. Allerdings hat der größte Teil der Kriminalität den materiellen Mangel, der mit der Abhängigkeit von Lohnarbeit verbunden ist, zur Voraussetzung. In dieser Massenkriminalität, und nicht in den Gewalttaten, die in der Öffentlichkeit den größten Platz einnehmen (Vergewaltigungen, Amokläufe, Gewalttaten von „psychisch Kranken“), ist die Notwendigkeit eines Strafsystems in bürgerlichen Gesellschaften begründet.

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Letzte Aktualisierung: 09.07.2012

 

09.07.2012